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Mozarts Messen

Von Peter Simonett

Mit der „Krönungsmesse“ haben wir jetzt sechs Messen von Mozart im Repertoire:

  1. B-Dur, KV 275 (9 x gesungen seit 1984)
  2. F-Dur, KV 192 (9 x seit 1988)
  3. C-Dur („Orgelsolomesse“), KV 259 (7 x seit 1994)
  4. C-Dur („Spatzenmesse“), KV 220 (6 x seit 1997)
  5. D-Dur, KV 194 (2 x seit 2011)
  6. „Krönungsmesse“, KV 317 (2 x in diesem Jahr 2012)

Die musikalische Gattung „Messe“ entsteht bald nach 1400. Damals haben bedeutende Komponisten die Gesangsteile der heiligen Messe, die immer den gleichen Text haben, also das Ordinarium mit Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei, allmählich zu einem Zyklus von musikalischer Ähnlichkeit vereinheitlicht, obwohl diese Gesangsteile bis auf Kyrie und Gloria ja gar nicht unmittelbar aufeinander folgen. Später wurde das Sanctus geteilt in zwei selbständige Sätze, das Benedictus wurde nach der Wandlung gesungen, es hat einen ganz eigenen Charakter bekommen, meist sehr lyrisch.

Im 16. Jahrhundert galt „die Messe“ als höchste Form der Komposition. Palestrina hat (mindestens) 104 Messen komponiert: Eine Fülle an musikalischer Abwechslung bei immer gleichem Text! Seit etwa 1600 wurden immer häufiger auch Instrumente mit eigenständigen Stimmen in die Komposition einbezogen.

Gut eineinhalb Jahrhunderte später, in der Zeit von Mozart, beruhte die Kompositionstechnik auf den Regeln der Instrumentalmusik. Es gibt in den Messen viele Partien, bei denen wir bemerken, wie unser Chorsatz in den Rahmen von Instrumentalstimmen eingefügt ist. Natürlich richtet sich die Gliederung trotzdem hörbar nach dem Text. Und die Art, wie Mozart den Text vorträgt, ist genial! Denn wir haben beim Singen immer den Eindruck, der Text könne nur so, in diesem Rhythmus, mit dieser Melodie deklamiert werden – bis wir dann in der nächsten Messe es eben wieder anders erleben.

Schon vor Mozart gab es die Unterscheidung in Missa solemnis (also die „feierliche Messe“) als Komposition für hohe Feiertage mit reicher Verwendung von Instrumenten und Missa brevis (die „kurze Messe“) als Form für die normalen Sonntage. Diese war nicht nur kürzer, auch die Zahl der Instrumente war geringer. Als Steigerung der Feierlichkeit hatte sich in Italien in Analogie zur Operntechnik sogar herausgebildet, einzelne Textabschnitte der liturgischen Sätze als Arien oder als Duett zu gestalten, Christe eleison etwa konnte dann eine lange Arie sein.

Diese umfangreichen Kompositionen hat man im 20. Jahrhundert nicht ganz richtig in Anlehnung an Bachs Kantaten mit ihren Arien, Duetten, Chören etc. auch „Kantatenmessen“ genannt. Durch die musikalische Aufgliederung in mehrere Sätze konnte die Komposition eine erhebliche Länge gewinnen. Die längste und bedeutendste uns geläufige „Kantatenmesse“ ist Bachs H-Moll-Messe, also eine Missa solemnis. Im Bewußtsein des 19. und des 20. Jahrhunderts ist Beethovens Missa solemnis der Gipfel der Gattung. Sie war ursprünglich durchaus für den liturgischen Gebrauch gedacht, nämlich für den feierlichen Gottesdienst zur Inthronisation des Erzbischofs von Ölmütz; dieser Erzbischof war der hochmusikalische Kaisersohn Erzherzog Rudolph, der als Komponist ein Schüler Beethovens gewesen war. Allerdings ist die Messe zu ihrer Bestimmung nicht fertig geworden. Wegen ihrer großen Besetzung und wegen der Länge ist sie dann fast immer konzertant aufgeführt worden. Auch Beethovens erste Messe in C-Dur ist gattungsmäßig eine Missa solemnis.

Kyrie und Gloria hatten in einer Missa solemnis meist die größte Ausdehnung, der im Text längste Satz, das Credo, war oft schon kürzer. Bis dahin hatten der Bischof (oder in Pfarrkirchen der Priester) und die Leviten ihren Platz seitwärts des Altares behalten. Sie konnten sitzen, wie auch die Gemeinde (soweit es Bänke gegeben hat). Nach dem Credo standen im Altarraum alle (die Gemeinde konnte stehen oder knien). Das Agnus Dei konnte sich über die ganze Zeit der Kommunion ausdehnen. Allerdings gingen aus der Gemeinde wenige zur heiligen Kommunion.

In Salzburg hatte zu Mozarts Zeit eine Missa brevis im allegemeinen nur Streicher als Instrumentalgrundlage. Bei einer Missa solemnis kamen mindestens zwei Trompeten und Pauken hinzu. Die „Spatzenmesse“ ist der Besetzung nach also schon eine Missa solemnis, ihrer Länge nach aber eine Missa brevis. Nach der Anweisung des Erzbischofs von Salzburg sollte die Messe am Sonntag trotz aller Feierlichkeit nämlich nicht länger als eine dreiviertel Stunde dauern.

Die „Krönungsmesse“ ist der Besetzung nach eindeutig eine Missa solemnis (2 Oboen, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Streicher, Orgel). Ihre Ausdehnung ist für eine feierliche Messe jedoch keineswegs groß. In Minuten gemessen, ist sie gar nicht viel länger als die Missa brevis in F-Dur (KV 192): Kyrie und Gloria sind etwa gleich lang; das Credo ist etwa um ein Viertel länger, erst Benedictus und Agnus Dei sind deutlich ausladender. Viele Abschnitte wirken in ihrer relativen Kürze deshalb recht kompakt und plastisch, besonders das Kyrie. Aber in anderen Partien können sich die Stimmen deutlicher als in einer Missa brevis melodisch entfalten, auch in den textreichen Sätzen von Gloria und Credo – sie haben nicht nur den Text knapp zu deklamieren wie in den meisten Teilen vom Credo der „Spatzenmesse“.

Nach dem Wunsch des rationalistisch eingestellten Erzbischofs sollten am Ende vom Gloria und vom Credo die sonst üblichen Fugen vermieden werden. Für einen damals modernen Intellektuellen waren Fugen unnötige „gelehrte Künsteleien“. Was macht Mozart? Im Gloria gibt er dem Amen eine weit ausholende Darstellung in prägnanter Abwechslung der unterschiedlichen Deklamation in den Solostimmen und dem Tutti. Dabei werden in den nur acht Takten der Solostimmen die Instrumente so imitierend eingesetzt wie in Fugen. Im Credo schreibt er die schöne Imitationsstelle (als Andeutung einer Fuge) schon bei descendit de caelis, diese Musik kann dann als Wiederholung im Amen wieder aufgegriffen werden.

Wer nur mit dem Text in der Hand das Gloria oder das Credo einer Missa brevis hört, und dann anschließend die entsprechenden Sätze der „Krönungsmesse“, der bemerkt sofort, wie beide Male der Text völlig organisch vorgetragen wird, wie aber in der Missa solemnis das Gefühl des Sängers (und des Hörers) mehr Raum zum Verweilen für die Textstelle bekommt.

Interessant ist auch der Vergleich von Sätzen mit kurzem Text wie dem Agnus Dei in zwei Kompositionen. In der B-Dur-Messe (KV 275) hat das Dona nobis eine beträchtliche Länge. Der Solosopran erhält die entscheidende Bedeutung, die lange Partie hat aber nicht den Charakter einer Arie, weil auch die anderen Solostimmen und der Chor in schnellem Wechsel mit einbezogen werden. In der „Krönungsmesse“ ist schon die Anordnung umgekehrt, der Satz beginnt mit einer richtigen Arie für den Solosopran, die Singstimme wird schön eingebettet in einen abwechslungsreichen Instrumentalsatz. Der Chor hat erst am Ende nach dem Quartett der Solisten das Dona nobis pacem ausführlich zu bekräftigen.

Es lohnt also, nicht nur die uns jetzt geläufigen Messen von Mozart als Einheit immer wieder zu hören, sondern auch die Vertonungen zu vergleichen.

Noch eine Bemerkung zu den Beinamen der Messen: Der Titel „Krönungsmesse“ stammt nicht von Mozart. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt, er hätte die Messe zu irgendeiner Krönung komponiert. Der später aufgekommene griffige Titel dürfte bei vielen, die das Werk nur flüchtig kennen, die Wertschätzung durchaus befördert haben.

Die „Orgelsolomesse“ trägt ihren späteren Namen nach dem Orgelsolo im Benedictus.

Der Beiname „Spatzenmesse“ bezieht sich auf das „tschilpende“ Motiv der Geigen im Sanctus vor „Pleni sunt caeli“.

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