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Neuzeller Wallfahrtslied

Von Markus Bautsch

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die barocke Marienkirche im ehemaligen Zisterzienserkloster im schlesischen Grüssau ein beliebtes und vielbesuchtes Wallfahrtsziel. Nach dem Krieg fiel Schlesien an Polen, die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben und das Erzbistum Breslau war plötzlich geteilt, weil Orte wie Görlitz oder Neuzelle nun auf der deutschen Seite lagen. Daraufhin wurde das Erzbischöfliche Amt Görlitz ausgegründet.

Auch die vertriebenen katholischen Jugendlichen, die in vielen Fällen als Waisen in ihre neue Heimat gekommen waren, konnten nun nicht mehr nach Grüssau wallfahren. Sie pilgerten Ende Juni 1947 auf Anregung des damaligen Jugendseelsorgers, Heinrich Theissing (1917 bis 1988), stattdessen erstmals in die gut einhundert Kilometer weiter nördlich liegende und ebenfalls barocke Marienkirche des ehemaligen Zisterzienserklosters Neuzelle.

Die neuen Kirchenlieder, die kurzfristig und eigens für die zahlreichen Vertriebenen getextet und komponiert wurden, konnten sich damals nicht durchsetzen. Die Betroffenen bevorzugten eher altbekannte Lieder wie das erste Stück der Deutschen Messe von Franz Schubert von 1827, das mit seinem Text von Johann Philipp Neumann „Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?“ (siehe Gotteslob Liednummer 145) offensichtlich viel besser den Nerv der Zeit traf.

Nach der Jugendwallfahrt 1947 wandte sich Kaplan Theissing daher an seinen Freund, den Görlitzer Holzbildhauer und Dichter Georg Schröter (1910 bis 1986), mit der Bitte, ein passendes Wallfahrtslied zu dichten. Schröter kam aus einfachen Verhältnissen, hatte eine Ausbildung als Tischler und kannte die Erfahrungen der Vertriebenen mit Krieg, Tod und Hunger sehr gut. Mit seinem auf diese Bitte hin gedichteten, achtstrophigen Marienliedtext „Maria, Mutter, Friedenshort“ schenkte er besonders den Vertriebenen viel Trost und Zuversicht:

1.
Maria, Mutter, Friedenshort!
Wir kommen in bedrängten Tagen
und bitten dich, ein Mutterwort
für uns bei deinem Sohn zu sagen.

2.
Sei du um uns wie ein Gebet,
vor dem die Stürme knien müssen.
Wenn deine Bitte mit uns fleht,
kann sich dein Sohn uns nicht verschließen.

3.
Du weißt, was uns im Herzen bebt
An gläubigem und kühnem Wagen.
Wenn deine Hand die Schatten hebt,
Wird uns ein Fest der Gnaden tagen.

4.
Dein Haus ist wie ein Lobgesang,
In dem die stummen Steine beten.
All unser Bitten wird zum Dank
Und schweigt von seinen dunklen Nöten.

5.
Dein Mantel ist ein goldnes Zelt,
Gewebt von mütterlicher Liebe.
Breit ihn als Heimat um die Welt,
Dass keiner ohne Mutter bliebe.

6.
Dein Kind ist unser Himmelreich,
Das Licht von tausend klaren Sonnen
Kommt doch nicht seinem Glanze gleich,
Sein Herz verschenkt uns alle Wonnen.

7.
Gib, dass wir unser Pilgersein
In deines Kindes Licht vollenden.
Hüll uns in deinen Mantel ein
Und führe uns an deinen Händen.

8.
Maria, Mutter, Königin,
Im Jubel der erlösten Chöre
Gibt unser Herz als Lied sich hin:
Dir, Mutter, und dem Sohn zur Ehre.

Der Text sprach in der Zeit um die Dogmatisierung des Glaubens an die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel durch Papst Piux XII. im Jahr 1950 zahlreiche fromme Katholiken aus Schlesien sofort an, und der bekannte Kirchenliedkomponist Adolf Lohmann (1907 bis 1983) schuf dazu noch 1948 eine passende und sehr gefällige Dur-Melodie.

Alle Strophen bestehen aus vier Versen mit der Reimfolge ABAB, wobei die A-Verse immer aus acht und die B-Verse immer aus neun Silben bestehen. Die Melodie steht im 6/4-Takt, der im zweiten und vierten Vers wegen der zusätzlichen Silbe allerdings durch einen eingeschobenen 9/4-Takt etwas aufbrochen wird, was eine gewisse Unruhe hervorruft.

Das Wallfahrtskreuz von Georg Schröter in Neuzelle.

Gleichzeitig hatte Schröter einen Corpus für das Wallfahrtskreuz in Neuzelle geschnitzt. Es steht bis heute auf dem Kreuzweghügel des Klostergeländes von Neuzelle und trägt die Inschrift:

Du König,
du Sieger,
sieh unsere Not.
Errichtet von der Jugend der Diözese A 1948 D.

Seit 1948 wird sein Neuzeller Wallfahrtslied bei den jährlich stattfindenden Diözesanwallfahrten angestimmt, und es wurde im Laufe der Zeit immer beliebter. Das Lied fand daher sogar Aufnahme in den Diözesanteil der neuen Bundesländer des alten Gotteslobes. In unserem neuen Gotteslob ist es im Regionalteil der ostdeutschen Bistümer unter der Nummer 860 ebenfalls zu finden. Auch die Berliner Landesgruppe der Landsmannschaft der Oberschlesier singt dieses Lied häufig und gerne in unserer Kirche St. Alfons, wie zum Beispiel bei den schlesischen Maiandachten.

Der Initiator des Neuzeller Wallfahrtsliedes Heinrich Theissing wirkte von 1963 bis 1970 übrigens als Weihbischof im Bistum Berlin und ging anschließend nach Schwerin. Im Sommer 2017 wurde das Kloster Neuzelle von vier Zisterziensermönchen aus der Stift Heiligenkreuz bei Wien wiederbesiedelt. Noch in diesem Jahr soll das Kloster 750 Jahre nach der ersten Gründung als Priorat des Mutterklosters offiziell errichtet werden. Es ist zu hoffen, dass noch viele Wallfahrer diesen Ort aufsuchen und das Neuzeller Wallfahrtslied anstimmen werden…


Mai 2018

Siehe auch

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